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04.11.2023 Dresden - 50 Jahre Lift Bericht: Rüdiger Schütz / Fotos: Peter Günther + Rüdiger Pfohl
Doyen bedeute so viel wie Dekan, Ältester. Im erweiterten Sinn steht der Begriff für eine führende Persönlichkeit auf einem bestimmten Gebiet, so liest man es jedenfalls in den einschlägigen digitalen Nachschlagemedien. Nun ist Werther Lohse (Jg. 1950) nicht der älteste unter den noch lebenden Ostrocklegenden, aber er ist, meiner Meinung nach, der Frontmann einer der zehn wichtigsten und bedeutendsten DDR-Bands, die nach über 50 Jahren noch aktiv auf der Bühne stehen. Die Zeit der Puhdys, von Electra, von City und anderen ist Geschichte. Toni Krahl (Jg. 1949) bleibt der Szene als neues Mitglied von Silly erhalten, Martin Schreier (Jahrgang 1948) wird - oder hat schon - den Staffelstab an Manuel Schmid (Jahrgang 1984) weiter gereicht. Karussell und Karat können sich glücklich schätzen, dass da die Söhne das Zepter übernommen haben. Pankow und Rockhaus treten nur noch wenig auf. Da bleiben nur noch zwei übrig: Thomas „Monster“ Schoppe (Jg. 1945) von Renft und die auf Solopfaden rockende Legende Dieter „Maschine“ Birr (Jg. 1944). Und da ist eben Werther Lohse. Ein Sänger und Musiker, der 1974 zu der ein Jahr zuvor gegründeten Band „LIFT“ als neuer Schlagzeuger stieß. Das wohl kreativste und produktivste Jahrzehnt der gesamten Geschichte des DDR-Ostrock hatte eine neue Band geboren, die im Gesamtbild dieser Szene in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes, ja eine Ausnahme bilden sollte. Und dies bis heute. Das muss erwähnt und besonders hervorgehoben werden, da die 1970er Jahre in mancherlei Hinsicht ein besonderes Jahrzehnt waren. Rock und Pop waren in Ost und West in der Mitte der Gesellschaften angekommen. Meine Generation stritt sich mit den Eltern (dies war übrigens in Ost- und Westdeutschland genauso!) um jene neuen Rhythmen und Töne, die da aus alten Röhrenradios drangen. Und in Ost wie West (das erfuhr ich erst viele Jahre später) wurde diese Musik nicht selten gleichlautend von den Älteren als „Neger- oder Buschmusik“ oder „sinnloses Gekreische“ abgetan. Die Konsequenz war, dass wir noch mehr dieser Musik hörten, die Haare noch länger trugen und nun erst recht zu allen Anlässen Jeans trugen. Es gehört deshalb für mich zu den Überraschungen solcher Dispute mit meinem Vater, dass er die Musik von Lift gut fand und sie mit mir gemeinsam anhörte. Es entspann sich dann ein fruchtbarer Disput über die Qualität von Musik zwischen dem Klassikfan und seinem Sohn. Oh je, 1974 war auch mein erstes Dienstjahr bei der NVA, da war nicht mehr viel mit Rock- und Westmusik. Auf den NVA-Stuben mussten bei erlaubten (selbst mitgebrachten Kofferradios) mit Filzstift die „Ostsender“ markiert werden, damit der in Musiksachen meist ungebildete „Spieß“ sofort erkennen konnte, ob jemand in der Kaserne „Westsender“ hörte. Natürlich hatten wir schnell reagiert und die Filzstiftstriche des Hauptfeldwebels verändert. Und auf der Bude gab es natürlich die üblichen musikalischen Streitigkeiten. Da standen sich als erstes zwei Basisgruppen gegenüber: die eine hörte nur Westmusik und lehnte alles, was auch nur den Anschein von Osten hatte, radikal ab. Diese teilte sich dann wieder in teilweise erbittert streitende Beatles oder Stones-Fans. Die zweite Gruppe hörte schon mal Ostmusik, teilte sich aber manchmal auch in zwei Fanlager: Puhdys-Anhänger und Renft-Fans. So war auf der NVA-Stube immer genügend Stoff da, um musikalisch und/oder weltanschaulich zu diskutieren und zu streiten. Aber, man glaubt es kaum: die Sache hatte aus heutiger Sicht auch etwas Gutes. Und das auch noch in verschiedenen Richtungen. Man hörte eben auch viel Ostradio. DT-64, Musikalische Luftfracht und ähnliches. Und siehe da, über die DDR-Sender war eine neue Band zu hören. Hervorgegangen aus dem „Dresden-Septett“. Es dauerte noch bis 1977 bis endlich die erste LP erscheinen konnte, aber die Titel waren vorher schon in aller Munde und Ohren, z.B. „Wasser und Wein“ (Heubach/Demmler), “Abendstille, stille Stunde“ (Zacher, Lohse/Demmler), „Du falsche Schöne“ (Lohse/Branoner) u.a. . Und ein Jahr später kam die totale Schocknachricht. Unfall in Polen auf der Rückreise von einem Konzert, Henry Pacholski und Gerhard Zacher tot, Heubach schwer verletzt. Der DDR-Rundfunk und das Fernsehen berichteten exklusiv. Da saßen wir nun und konnten es nicht glauben. Zu dieser Zeit gab es noch kein Internet. Es war da eben nur diese eine brutal- nüchterne Nachricht aus dem Fernsehen und dem Rundfunk. Aus. Was nun? Wie weiter? Ich hatte eine leere Flasche des beliebten bulgarischen Rotweins der Sorte „Gamza“ aufgehoben. Einfach, weil die Flasche gut aussah mit ihrem dicken Flaschenbauch und dem Geflecht darüber. Und zu jener Zeit waren Tropfkerzen gerade in Mode. Und ich habe mir dann solche Tropfkerzen gekauft, auf die Flasche gesetzt und angezündet. Zur Erinnerung an Lift. Gott sei Dank, sollte es ja weitergehen.
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50 Jahre Lift und Werther Lohse, ein Doyen des Ostrocks
Aber zurück zum Jubiläumskonzert. Man hätte es in den verschiedensten Sälen im Dresdner Raum stattfinden lassen können. Die Frauenkirche ist hierzu natürlich der emotional berührendste Ort, was Lohses einleitenden Worte deutlich zeigten. Jeder, der sich ein wenig mit Musik solcher Art auskennt, weiß aber auch, dass Kirchen für Tontechniker immer ein herausforderndes Problem sind. So konnte auch die Frauenkirche für ein solches Konzert natürlich nicht der optimale akustische Ort sein. Aber es war schon besonders beindruckend, als die große Orgel des Gotteshauses mit dem musikalischen Thema der „Meeresfahrt“ das Konzert begann. Darauf folgten „Wasser und Wein“ und „Jeden Abend“. Dass es ein Jubiläumskonzert ist, zeigte sich spätestens jetzt mit dem ersten Auftritt und dem Beitrag von Joachim Krause. Er textete einen der berühmtesten Lift-Songs: „Am Abend mancher Tage“ und las aus seinem gleichnamigen Buch über die Entstehungszeit der Band.
Am weiteren Verlauf des Jubiläumskonzerts konnte man nun ablesen, wann die Band ihre großen Zeiten hatte. Insgesamt 17 Songs erklangen. Fünf Titeln der ersten LP (Lift, 1977), ebenso fünf Songs der zweiten (Meeresfahrt, 1978), zwei der dritten LP (Spiegelbild, 1981) und einer der vierten Lift-Veröffentlichung (Nach Hause, 1987) stand nur einer! der Jahre 1995 bis 2008 gegenüber (Die gelben Wiesen; Lohse/Lohse aus der CD „Werther Lohse 1974-2010 feat. Jan Josef Liefers). Hinzu kommen noch die Titel „Mein Herz soll ein Wasser sein“ (1975 mit Stefan Trepte uraufgeführt, Text: Kurt Demmler) „Meine Schulden“, der merkwürdigerweise erst 1995 auf CD erschien, aber auch schon 1975 von Gerhard Zacher komponiert und von Frieder Burkhardt getextet wurde und der Song „Der Frieden“ (Musik: W. Scheffler, Text: Andreas Reimann) aus dem Jahre 1981, eine Studioaufnahme mit Streichergruppe (in: Lift: Hits und Raritäten, Amiga/Buschfunk 2008), heute natürlich ganz aktuell.
Und hier liegt das Problem des Ostrocks. Die großen Zeiten waren die 1970er Jahre und Jahre 1980 bis 1987. Aus jenen reichlich anderthalb Jahrzehnten stammen eigentlich fast alle Hits des Begriffs „Ostrock“, jene Songs, die heute noch in den Konzerten gewünscht und gespielt werden und manchmal auch von jüngeren Künstlerinnen und Künstlern „gecovert“ werden. Und ich gebe es ehrlich zu, schon Teile der dritten LP („Spiegelbild“) und die letzte aus DDR-Zeiten (Nach Hause, 1987) waren nicht mehr „so mein Ding“, es klang nicht mehr so ganz nach Lift der 1970er. So sind für mich und viele andere die Songs der Jahre 1974 bis 1980, ein halbes Jahrzehnt, das „Goldene Zeitalter“ von LIFT. Mit böser Zunge gesagt, spielte jeder DDR-Ostrocker irgendwie überall einmal in fast allen Bands. Warum sollte dies bei Lift anders sein. Die Liste der „Ehemaligen“ ist sehr lang und enthält eine große Menge der Besten ihrer Zunft. Aus manchen Interviews ehemaliger Lift-Musiker kann man entnehmen, dass es nicht einfach gewesen sein muss und nicht einfach ist, kontinuierlich und über längere Zeiträume mit dem Frontmann von Lift zusammen zu arbeiten. So war die Anzahl derer, die zum 50jährigen Jubiläumskonzert kamen (oder eingeladen waren) nicht sehr lang. So mancher fehlte. Das stimmt. Aber es ist nicht fair und letztendlich falsch, zu sagen, dass das Jubiläumskonzert „… keine Überraschungen …“ enthielt und kein Lift-Konzert, sondern nur eine Veranstaltung von „… Werther Lohse & Band …“ war. Die Formulierungen, dass er aufpassen müsse, „dass er nicht der Jopi Heesters des Ostrocks wird“ und „Lohse ist eben kein Mick Jagger …“ sowie „Dieses Programm … war eine Dosensuppe, die man jeden Tag haben kann …“, sind völlig daneben und fast schon beleidigend. So musste man es nämlich wenige Tage später auf einer bekannten Internet-Ostrock-Plattform“ lesen. Was bleibt wirklich? Für mich - und ich denke für die Mehrzahl der Zuhörer/innen - ein tolles Konzert an einem tollen Ort, mit tollen Musikern. Die junge Rhythmusgruppe mit Markus Christ am Schlagzeug und Jacob Müller am Bass machte einen wunderbaren Job. Ein Riesengewinn ist der vor einiger Zeit erfolgte Einstieg von Andres „Bruno“ Leuschner an den Tasteninstrumenten, der von Electra kam. Das wohl doch Besondere des Konzerts (und damit eben eine „Überraschung“) war der erneute Auftritt der ehemaligen Kreuzchorsänger Moritz Schlenstedt, Elias Riemenschneider, Lucas Reis und Alexander Rau. Ein Konzert wie in den 1970er Tagen hat wohl niemand erwartet. Aber entgegen manchen anderen Auffassungen fand ich, dass Lohse an diesem Abend als fast Mitsiebziger stimmlich gut drauf war. Ich war zum 45. Jubiläum auf dem Schaufelraddampfer „Krippen“ dabei, ich habe das Konzert zum 40. Jubiläum in der Dresdner Kreuzkirche gehört und konnte ihn vor einigen Monaten beim Sachsendreier in Chemnitz erleben und muss sagen, dass seine Gesangsleistung von diesen Konzerten die beste war. Wir alten „Ostrockfans“ müssen uns wohl nun endlich daran gewöhnen, dass vierzig, fünfzig oder noch mehr Jahre einer Band (oder seien es nur einige wenige übrig gebliebene Protagonisten aus alten Tagen) für uns Zuhörer/innen trotzdem ein Glücksfall sind. Und diese noch einmal hören zu können, gehört für mich zu den schönsten Momenten in dieser verrückten Zeit. Keiner weiß, ob es ihm vergönnt sein wird, Lift und Werther Lohse noch einmal hören zu können. Nicht meckern, sondern genießen heißt deshalb die Devise! Alles gute Lift, beste Gesundheit Werther Lohse und auf ein baldiges Wiedersehen!.